Wilde Berglandschaften, goldglänzende Strände und ehrwürdige Altertümer – die zwischen dem Tyrrhenischen und Ionischen Meer an der Stiefelspitze Italiens eingeklemmte Basilicata bietet Campern ein überwältigendes Reiseerlebnis.
Gesäumt von einem duftenden Blumenmeer aus Zystrosen, wildem Thymian und Salbei windet sich der Wanderweg über Felsbrocken von der Grösse eines Einfamilienhauses. Wahllos verstreut liegen diese gigantischen Findlinge in der Landschaft. Mittendrin blockiert eine Schafherde den Trail. Der Schäfer reitet wie ein stolzer Krieger – ohne Sattel – an uns vorbei. Sein markantes Profil wippt im Takt des Hufschlags. Die Mähne des Haflingers leuchtet elegisch im Gegenlicht. Archaische Bilder, es scheint, als wäre hier schon vor Jahrhunderten das Zeitenrad blockiert worden. Etwas weiter unten, in der lieblichen Au, offenbart sich uns dann wieder dieses phänomenale Panorama aus der Pizzeria. Wie Haifischflossen wachsen die Lukanischen Dolomiten zwischen Castelmezzano und Pietrapertosa aus dem grünen Hügelmeer. Wind und Wetter haben diese wilde Zahnreihe aus Sandstein in Jahrtausende währender Arbeit zu einem kolossalen Blickfang geformt. Ein Anblick, der zwar jeden in seinen Bann zieht, den aber kaum ein Mensch kennt.
Das Panorama aus der Pizzeria? Langsam, alles der Reihe nach. Es war in einer Pizzeria, wo wir bei Antipasti Misti und einer wagenradgrossen Pizza Cappriciosa rätselten. Wo ist diese unglaubliche Gegend, die sich da vor uns auf einem monumentalen Poster an der Wand ausbreitet? Lukanische Dolomiten stand lapidar und kleingedruckt am unteren Bildrand. Dolomiten – alles klar! Also irgendwo in Südtirol oder dem Trentino... aber keiner von unserer Gruppe – wohlgemerkt alles Bergsteiger und Mountainbiker – kannte die Lukanischen Dolomiten und vor allem so exponierte Bergdörfer, die sich wie Adlernester zwischen den Felsen festkrallen. Es dauerte bis zum obligatorischen Espresso, als der Kellner für vermeintliche Aufklärung sorgte und damit nur noch mehr Verwirrung stiftete. «Das ist Pietrapertosa in der Basilicata, gute 400 Kilometer südlich von Rom, da kommt mein Chef her.» Wir hatten keine Ahnung, aber eines stand im Nu fest: Da müssen wir mal hin!
Christus kam nur bis Eboli
Die knapp 10 000 Quadratkilometer grosse Basilicata gilt als gut behütete Schönheit. Selbst ausgemachte Italien-Kenner zucken beim Namen dieser Region ratlos mit den Schultern. Hat das was mit Basilikum zu tun, lautet dann häufig die Gegenfrage. Das Gewürzkraut wächst zwar auch hier, aber der Name stammt von Basilikos, einem Verwalter aus Byzanz. Auch Rom hatte das alte Lukanien («Lucania» – Land der Wälder) lange Zeit völlig vergessen. Erst Carlo Levi‘s Nachkriegs-Klassiker «Christus kam nur bis Eboli» riss die Region aus dem drohenden Koma. Der Roman über das Elend der Bevölkerung in den Felshöhlen Materas, wo Menschen und Tiere auf nackten Felsen hausten und jedes zweite Neugeborene verstarb, wurde zur bitteren Anklage sozialer Missstände im südlichen Italien. 1952 wurde die Räumung der «Sassi», der Felsenstadt angeordnet. 1993 wurde das Höhlenlabyrinth, eine der ältesten Siedlungen der Menschheit, von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Dank sprudelnder Fördergelder wurde aus den gut 150 Felsenkirchen, unterirdischen Kuppeln und Fresken, die einst als Schande Italiens galten, ein touristisches Juwel.
Eigentlich strotzt die Region nur so vor Leckerbissen für Touristen. Eingekeilt zwischen dem Ionischen und Thyrrhenischen Meer gibt es jede Menge exklusiver Badebuchten. Überfüllte Strände mit architektonisch entgleisten Hotelanlagen fehlen dagegen gänzlich. Selbst am wundervoll erhaltenen Heratempel von Metaponto finden sich nur selten Trümmertouristen. Im Landesinnern locken Dörfer, die wehrhaft befestigt auf Bergkuppen thronen. «Man-spricht-deutsch-Schilder» wird man in der gesamten Region nicht finden. In den urtümlichen Trattorien gibt es meist nicht mal eine Speisekarte. Der Wirt trägt vor, was es gibt. Pasta, Käse, Würste, Brot – fast immer stammen die Produkte aus eigener Produktion. Der nächste Supermarkt wäre ohnehin zu weit weg. Das Preis-Leistungs-Verhältnis rechtfertigt schnell die lange Anfahrt in das touristische Niemandsland.
Der komplette Reisebericht ist im Magazin WOHNMOBIL & CARAVAN zu lesen. Die Ausgabe 1/2021 lässt sich online bestellen.
Lage
Ganz im Süden Italiens, zwischen «Absatz» und «Stiefelspitze» liegt die Basilicata. Korekt formuliert: südöstlich von Kampanien, südwestlich von Apulien und nördlich von Kalabrien. Dabei wird sie in die Provinzen Potenza und Matera gegliedert, auf deren Fläche von 9994 km² über eine halbe Million Einwohner leben. Die Hauptstadt ist Potenza.
Anreise
Über Mailand oder Genua nach Süden und entweder auf der adriatischen Seite über Ancona, Pescara und Termoli oder über Rom und Neapel entlang der Riviera in die Basilicata, auf der Strasse 407 bis Campomaggiore und hoch nach Pietrapertosa (1088 m). Über kurvenreiche Landstrassen weiter nach Matera und Metaponto an die Ostküste.
Text und Fotos: Norbert Eisele-Heinn
aus: Wohnmobil und Caravan, Heft Nr. 1/2021