Nevada beginnt und endet für die meisten in Las Vegas. Und ja, die Stadt der Sünde ist allein schon eine Reise wert, aber der Silver State hat weitaus mehr zu bieten: monumentale Westernkulissen mit rotem Wüstensand im Valley of Fire, schneebedeckte Fast-Viertausender im Great Basin, Kontakte zu Aliens auf dem extraterrestrischen Highway, Cowboy- und Goldgräber-Stories, Spukhotels und jede Menge skurriler Kunst. Zehn neue Themenhighways ermöglichen einen Roadtrip der Extraklasse.
500 verschiedene Müslisorten, 70 verschiedene Milchvarianten: laktosefrei, Mandel, Hafer, Soja, unzählige Fettstufen…
Bis zu Albertsons Supermarkt hatten wir alles im Griff. Die Wohnmobilübernahme bei Road Surfer war vorbildlich. Das Navi mit Valley of Fire gefüttert, einen Countrysender im Radio eingestellt, schon tuckern wir los. Da kommt uns in den Sinn, dass es im Nationalpark wahrscheinlich keine Restaurants und auch keinen vernünftigen Laden gibt. Also machen wir uns auf zum nächsten Supermarkt: Albertsons eben. Und der hat uns mit seiner schieren Grösse und seinem ungeahnten Angebot völlig überfordert. Dass unsere erste Herausforderung auf dieser Reise das Einkaufen in einem Supermarkt sein könnte, haben wir vor der Reise nicht geahnt.
Wieder im Camper berechnet das Navi eine neue Route, die nun auf der 147 über die Lake Mead National Recreation Area führt. Anfangs lamentieren wir noch, weil das länger dauert, doch dann stellen wir schnell fest, dass das eigentlich die bessere Route ist. Denn mittendrin glitzert dieser riesige, bis zu 185 Kilometer lange, tiefblaue Stausee aus der flirrenden Hitze der gelbbraunen Wüste hervor. Schon 1936 wurde der Colorado River durch den Bau des 223 Meter hohen Hoover Dam zum wichtigsten Trinkwasserreservoir und Powerhouse der gesamten Region.
Wir folgen also der Northshore Road, lassen die Muddy Mountain Wilderness links liegen und schwenken bei der Callville Bay Junction auf eine herrlich-hügelige, weitschweifende Strasse südöstlich zum meeresähnlichen Lake Mead, wo mitten im See die Staatsgrenze nach Arizona verläuft. Ein tausendfach verästelter, smaragdblauer Fjord mitten im mittlerweile knallroten Wüstensand und ein paar sattgrüne Palmen, die sich in der leichten Brise wiegen. Ja, dem Navi gebührt Dank... und überhaupt, wer wird sich denn gleich am ersten Tag zum Sklaven seines eigenen Vorhabens machen. Der planerische Patzer war perfekt. Zumal wir schon wenig später am Osteingang zum Valley of Fire Statepark landen und die bereits tieferstehende Sonne perfekt auf den markanten Elephant Rock strahlt. Tipp: Unbedingt die Wanderschuhe schnüren und den kurzen Trail über die Felsen zum Elefantenfelsen hochsteigen. Jetzt kommt es Schlag auf Schlag. Versteinerte Bäume, alte Goldgräberhütten, die Seven Sisters – versteinerte Felsmonolythen, die eine ausserirdisch anmutende, blutrote Felsenlandschaft offenbaren – so stellen wir uns den Mars vor. Wir lassen das Visitor Center rechts liegen und folgen der Mouse’s Tank Road Richtung Norden. Vorbei an einem gigantischen Pendelstein windet sich die Bilderbuch-Passstrasse durch eine bizarre Bergwelt. Kurze Wanderwege bescheren uns zahlreiche Petroglyphen einer 4000 Jahre alten Jäger- und Sammler-Kultur. Am Rainbow Vista wirft ein Steinbogen einen herzförmigen Schatten auf eine glühend-rote Felswand. Eine Herde Desert Bighorn Sheep klettert behände über einen Felsabsturz. Was für ein biblisch-schöner Anblick. Wir sind schockverliebt in das Tal des Feuers. Die Strasse windet sich weiter wie ein asphaltiertes Gedicht durch diesen goldroten Wüstentraum. Total Recall mit Arnold Schwarzenegger, Star Trek Generations – die Szene in der Captain Kirk stirbt –, unzählige Western und Werbespots, natürlich hat Hollywood die inflationäre Schönheit des Parks längst entdeckt. Uns wundert nichts mehr.
Wir passieren den monumentalen Gibraltar Rock und wollen eigentlich noch zur Fire Wave absteigen, doch ein Ranger winkt ab. «Leute, bei Sonnenuntergang müssen alle im Camp oder aus dem Park raus sein. In ein paar Minuten ist die Sonne weg», macht er freundlich, aber unmissverständlich klar. Auch der Atlatl Campground ist eine einzige Westernkulisse. Riesige Stellplätze mit Feuerstelle und Grillrost, Tisch-Bank-Kombinationen mit Schattendach, perfekte sanitäre Anlagen mit Duschen, kein Wunder, dass die Plätze lange im Voraus gebucht werden müssen. Auch hier schlendern Bighorn-Schafe mit wahrhaftig kapitalen Hörnern zwischen den Campern hindurch. Schon glühen die Holzscheite, die Steaks brutzeln auf dem Rost und über dem Felsenrand funkeln die Sterne.
Felsen in rosa, gelb und hellblau
Gleich neben dem Campground führt eine Treppe zum Atlatl Rock mit ausgedehnten Felsritzungen, ein Steinbogen liegt auch in Wanderweite. Auch im Morgenlicht ist die Mouse's Tank Road unfassbar schön. Sie zählt in vielen Rankings zu den zehn schönsten Strassen der USA. Die Feuerwelle liegt noch im Schatten, darum laufen wir erst einmal im Pink Canyon zu den Seven Wonders. Diese Wanderung durch wundersame, wie Pfannkuchen übereinandergestapelte Felshaufen in Rosa, Gelb und Hellblau beschert uns eine optische Reizüberflutung. In den Wasserläufen blühen Büsche mit lilablauen Blüten, an denen sich grüngoldene Kolibris laben. Auf dem Boden kreuchen Eidechsen und Agamen mit über einem Meter Länge. Paradiesisch. Wir schliessen gleich noch den White Domes Trail an und staunen nicht schlecht. «Heat Alert – hiking ist not recommend», warnt ein Schild Wanderer vor der Hitze. Diese halten allesamt kurz inne, machen Selfies mit dem Schild und gehen lachend weiter. Es sind wieder nur ein paar Kilometer, etwas steiler, aber erneut schöne, schmale Pfade durch spektakuläre Felsformationen. Zum Finale gönnen wir uns die Feuerwelle, die im Abendlicht formvollendet wie ein versteinerter Tsunami aus einem abschüssigen Felsplateau heraussteigt. Doch bald schon purzelt die tiefrote Sonne wieder hinter dem Horizont hinunter. Und – wir müssen raus, weil wir heute keinen Stellplatz mehr ergattert haben. Der Ranger ist erneut gnädig und gibt uns einen guten Tipp.
Truckstop-Welt
Ein Lichtermeer mitten im dunklen Nichts der Nacht, hin und wieder steigen ein paar Raketen in den Himmel, das muss er sein. Der Truckstop am Interstate 15. Das Territorium gehört zur Moapa River Indian Reservation, einer Gruppe der First Nations, der indigenen Urbevölkerung der Vereinigten Staaten. Eine skurrile Welt, ein eigener spezialisierter Konsumkosmos präsentiert sich uns: Ein Baumarkt, ein Feuerwerkshandel mit einem Demonstrationsplatz so gross wie fünf Fussballfelder, ein Liquor Shop mit einer Masse und Vielfalt von Alkohol, wie wir es noch nie zuvor gesehen haben. Im Sanitärbereich läuft Tag und Nacht ACDC, ZZ-Top, Guns'n Roses. An den bald 50 Zapfsäulen stehen riesige Trucks, die den nahen Wasserkopf Las Vegas mit Gütern versorgen. Nicht zu vergessen, die Truckerkneipe: Plastikstühle, Speisekarte eingeschweisst – aber grosse Portionen Fleisch und leckere Burger zu fairen Preisen. Für hungrige Wanderer eine erstklassige Adresse – sofern man kein Veganer ist. Zudem nächtigen wir gratis zwischen 40-Tonnern und noch grösseren Gespannen. Die Trucker lachen milde bei unserem Anblick. Zum Frühstück gibt es auch bei den First Nations die Cowboy-Variante: Eier mit Speck, dazu einen Berg Bratkartoffeln. Und es wundert uns nicht, dass es keinen braunen Zucker oder laktosefreie Mandelmilch zum dünnen Kaffee gibt.
Auf der US 93, dem Great Basin Highway, steuern wir hart nordwärts. Die einsame Ödnis ändert sich je nach Seehöhe nur geringfügig. Gelegentlich wachsen markante Joshua Trees aus dem kargen Boden und recken ihre stacheligen Arme gen Himmel. Wir sind nur noch durch die Sheep Mountains von der Nellis Air Force Range, einer der grössten Militärflughäfen und Sperrzonen der USA, getrennt. Die ganze Gegend ist auch als Area 51 berühmt-berüchtigt. Kernwaffentests in den 50ern und 60ern und haarsträubende Diskussionen um zahllose vermeintliche Ufosichtungen noch in den 80er-Jahren nährten abstruse Verschwörungstheorien um ausserirdische Besucher. Damals wiegelten die Bundesbehörden konsequent ab, wussten sie doch, dass dort der Tarnkappenbomber F 117A Stealth Fighter höchst geheim getestet wurde. «Ich lebe jetzt seit über 44 Jahren im Tal, und solange ich zurückdenken kann, ging es immer nur um E.T.», erzählt Christy Lamb. Sie hält an der Kreuzung zum Highway 375, der westwärts nach Rachel führt, in ihrem Laden «E.T. Fresh Jerky» die Stellung. Sie verkauft Trockenfleisch in Dutzenden Varianten und eine ganze Litanei an E.T.-Paraphernalia. Wir folgen dem mittlerweile offiziell auf Extraterrestrial Highway getauften Strassenabschnitt ein paar Meilen bis zum Alien Research Center, welches aufgrund eines wohl 25 Meter hohen Blech-ausserirdischen schon von Weitem sichtbar ist. Der tonnenförmige, gigantisch-grosse Hangar ist ein Tempel für ausserirdischen Krims-Krams – beam me up.
Der komplette Reisebericht ist im Magazin WOHNMOBIL & CARAVAN, Ausgabe 5/2024 zu lesen.
Text und Fotos: Norbert Eisele-Hein
aus dem Magazin: Wohnmobil und Caravan, Zeitschrift Nr. 5/2024